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Geschichten

Ein Auf und Ab der Gefühle

Von DBNA Team

Ich habe schon recht früh gemerkt, dass ich etwas anders als meine Freunde bin. In einer recht konservativ katholischen Familie aufgewachsen ist "Schwulsein" aber erst einmal keine Alternative.

Gerrit, 19: Mit 14 wurde mir immer mehr bewusst, dass ich eher weniger an Frauen als an Männern interessiert bin - immer in der Hoffnung es sei nur eine dieser viel beschworenen Phasen der sexuellen Orientierung, die wieder vorbei ginge. Demnach versuchte ich diese Gefühle möglichst gut zu unterdrücken, was mir mit jedem Jahr schwerer fiel. Bei all den Albernheiten und Männerabenden, bei denen es um die Mädels aus den Nachbarklassen ging, habe ich mich gekonnt zurückgehalten. Nie verlor ich nur ein Wort zu diesem Thema, was aber eher wenig auffällig war, schließlich war ich immer der Vernünftige Spießer, der nun wirklich keines der öffentlichen Klischees eines Schwulen erfüllte. Einen wirklich guten Freund oder die sogenannte "beste Freundin" hatte ich damals nicht, um mich ihm oder ihr anzuvertrauen. So nahm das Versteckspiel seinen Lauf.

In der Rolle des ältesten Sohnes einer erfolgreichen und durchaus beliebten Familie kam es zu diesem Zeitpunkt nicht in Frage irgendetwas öffentlich zu machen. Ich fühlte mich irgendwie in der Pflicht, meinen beiden jüngeren Brüdern ein Vorbild zu sein, meine Familie auf meine Weise stolz zu machen. Nachfragen der Großeltern zum Thema Freundin ständig ausweichen zu müssen und zu wissen, dass man die großen Hoffnungen auf Enkel und Urenkel wohl nicht erfüllen würde, machten die Sache wohl eher nicht einfacher. Am meisten weh taten die gemeinsamen Fernsehabende mit Filmen in denen irgendein schwuler Charakter mitspielte und mit Scham darüber hinweg geschwiegen oder gar weg geschaut oder umgeschaltet wurde und die Geburtstagskarten mit liebevoll geschriebenen Texten wie " ... das beste was uns je passiert ist! Bleib so wie du bist. Alles Liebe Mama & Papa" - würde der Text genauso lauten, wenn die beiden es wüssten!?

Ich lernte auf dem Geburtstag eines meiner heutigen besten Kumpels ein schwules Paar kennen, deren Klassenkameraden mit vollen Mitteln für deren Akzeptanz kämpften. Da kommt einem etwas flapsig gesagt schon einmal der Gedanke "das will ich auch". Schnell lernte man sich besser kennen, im Zeitalter "Social Media" kein Kunststück. So stellte er mir irgendwann die Frage, ob ich auch schwul sei und er war der erste dem ich mit ja antwortete. Zwischenzeitlich war meine Mutter zu einer bekannten Politikerin geworden was nach dem Wechsel vom Bundes- zum Landtag allerdings sehr schnell ein jähes Ende fand. So war der Zeitpunkt denkbar ungünstig, meine Mutter mit meinen Problemen zu belasten und ich hatte erneut einen Grund das Coming-Out vor mir herzuschieben.

Es kam die Zeit des Abiturs und damit auch die der Abschlussfahrt die ich zuerst gar nicht so im Blick hatte, bis mich ein Freund fragte wohin ich denn fahren würde. "Nirgendwohin" war meine Antwort, die er Gott sei Dank nicht gelten ließ und mich mit seiner Clique mit nach Mallorca einlud. Nicht auszudenken wie richtig diese Entscheidung war, flog ich mit. Heute sind diese Jungs und Mädels die besten Freunde, die man sich vorstellen kann. Es kam der Abiball und danach die "Feierzeit" mit meinen Freunden. Auf dem Stadtfest erfuhr ich dann von einem flüchtigen Bekannten, der sich geoutet habe sollte. Ich hatte ihn schon einmal auf einem Geburtstag getroffen. Spontan gratulierte ich ihm per SMS zu seinem Entschluss. Wir lernten uns besser kennen, doch es dauerte nicht lange, bis er mich fragte "du bist auch schwul, nicht?" ... und wieder kam mir ein Ja über die Lippen. Seine beste Freundin war auch eine meiner Freunde. Sie hatte ihm zum Coming-Out verholfen, ihn unterstützt und ihm auch das ein oder andere Mal den nötigen Druck gemacht.

Eines Nachmittags schrieben wir wieder und er schrieb einfach nur "Sags ihr, sags ihr, sags ihr!", denn sie war gerade bei ihm zu Besuch. Er hatte mir geraten ihr zu vertrauen und nach langem zögern tat ich es dann auch. Mit einem unbeschreiblichen Kribbeln im Bauch und der Aufregung vor einem Fallschirmsprung nahm ich die überraschend positive Reaktion auf. Seitdem war sie unsere "Schwulenmutti". So folgte von da an fast täglich einer meiner guten Freunde, dem ich es beichtete. Nicht einer ließ mich sitzen, allesamt standen sie hinter mir und keiner kehrte mir den Rücken! Trotzdem zerbrach ich mir über das Coming-Out bei meinen Eltern weiter den Kopf. Zudem stand eine wichtige Entscheidung ins Haus: "Kandidiert Mama wieder für den Bundestag?" .... selbstverständlich war ich dafür, doch wann war der richtige Zeitpunkt für das Coming-Out? Vor der Wahl würde es vielleicht viele der konservativen Wähler abschrecken. Nach der Wahl war aber noch fast 2 Jahre hin. Nach vielen Gesprächen und Brainstormingrunden stand dann der Entschluss: Vorher. Zumal mittlerweile schon so viele von meinem Coming-Out wussten, dass ich mir sorgen machte, meine Eltern würden es nicht mehr von mir erfahren.

Auf einer längeren Autofahrt also, fasste ich mir ein Herz und beichtete es unter Tränen meinem Vater. "Du fühlst dich also zu Männern hingezogen?" war sein erster Satz, "schön, dass du dazu stehst! Egal wie oder mit wem du dein Leben führst ich nehme dich so wie du bist und werde immer und vor allen hinter dir stehen!" Eine schönere Antwort hätte ich mir nicht ausmalen können. Das Gefühl war unbeschreiblich!

So behielten wir es noch ein paar Wochen für uns, bis der Morgen des 14. Dezembers 2012 gekommen war. Ich wusste, dass ich an diesem Tag allein mit meiner Mutter sein würde. Aufgeregt wie nie zuvor und geplagt von Ängsten vor einem Rausschmiss ... setzte ich mich zu meiner Mutter an den Frühstückstisch. Ein bisschen Smalltalk zeigte mir, dass sie gute Laune hatte und ich das Thema wechseln konnte. "Mama ich bin schwul" - ein ungläubiges, unsicheres Lächeln blitze mir entgegen welches schnell in ein entsetztes verfiel. Mit den Worten "Wie jetzt? Warum hast du denn nicht früher was gesagt, dann hätte man vielleicht noch was machen können!" machte sich große Enttäuschung bei mir breit, wobei die Reaktion noch absolut human ausfiel im Vergleich zu dem, was ich mir ausgemalt hatte. Nach einer kurzen Diskussion machte ich mich unter einem Vorwand auf ins Büro meines Vaters um ihm davon zu erzählen, denn sicher würde meine Mutter das Gespräch mit ihm suchen.

Mit jedem Tag merkte meine Mutter hingegen, dass ich immer noch der Alte war. Und so besserte sich unser Verhältnis wieder. Schließlich ist es bis heute besser denn je geworden und wir verstehen uns bestens, meine Familie nimmt mich so wie ich bin, meine Freunde nehmen mich so wie ich bin. Das entschlossene "Ja" zur Homoehe, bei den Podiumsdiskussionen im Wahlkampf und Sätzen wie " Familien sind unterstützenswert! Egal in welcher Konstellation sie in unserer heutigen, modernen Welt auch vorkommen." bewundere ich im Nachhinein. Alles in allem ist es ein langer steiler Hang, den man heraufklettern muss und auch das ein oder andere mal wieder ein Stück herunterrutscht.

Heute lese ich mit Freude und demselben Kribbeln wie bei meinem eigenen, von den Coming-Outs anderer. Ich antworte gelassen und sogar ein bisschen stolz auf die Frage "Und du, hast du auch ne Freundin?", "Ne! wenn dann einen Freund.". Fast ausschließlich gute Erfahrungen habe ich gemacht, und kann es wirklich nur jedem empfehlen. Sicherlich ist es nicht immer einfach und man eckt an aber bitte spart euch den Stress und die vielen traurigen Momente und überwindet eure Angst, danach geht es euch besser! Glückwunsch an alle, die es schon geschafft haben.
Coming-out

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