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Geschichten

Luca (16) erzählt von seinem Coming-out

Luca (16) erzählt von seinem Coming-out

Luca

„Es war ein Prozess über einige Jahre, mein „inneres Outing“ fiel mir sehr schwer und hat lange gedauert, aber als ich dieses überwunden hatte, konnte ich es meiner ganzen Klasse und meiner Mutter erzählen, die alle positiv reagiert haben.“

Meine Coming Out Story beginnt schon sehr früh. Bereits als kleines Kind spürte ich in mir ein Gefühl, dass ich „anders“ bin, denn ich kannte bis dahin nur das traditionelle, konservative Familienbild. Ein Mann liebt eine Frau, diese heiraten und es entstehen Kinder. Zu dieser Zeit wusste ich nicht mal, dass es so etwas wie Homosexualität gibt, aber dennoch fühlte ich mich mehr zum gleichen Geschlecht hingezogen, als zum anderen. Natürlich habe ich mir in diesem jungen Alter noch keine Gedanken darüber gemacht, aber als ich um die 7 Jahre alt war, merkte ich immer öfters, dass ich Männer viel hübscher und attraktiver fand, als Frauen. Leider weiß ich nicht mehr alles ganz genau, aber ich glaube, dass ich es das erste Mal so richtig realisiert habe, als ich den Lehrer aus meiner Parallelklasse sah und ihn ständig angeschaut habe, weil er sehr attraktiv war.

Ab diesem Zeitpunkt kam das Thema immer öfters auf, aber ich verdrängte es immer und immer wieder und versuchte mir einzureden, dass ich später mal eine Frau heiraten möchte und Kinder mit ihr zu haben. Für mich war es ein unvorstellbares Szenario mit einem Mann zusammenzukommen. Es war in meinen Augen nicht unnatürlich oder eklig mit demselben Geschlecht zusammen zu sein, aber für mich war es damals keine Option.

Vermehrt fiel mir auf, dass ich mehr Männern hinterherschaue als Frauen und ich mich auch sexuell zu ihnen angezogen fühlte, aber obwohl mir mein Unterbewusstsein mehr als deutliche Signale sendete, versuchte ich es aus meinem Kopf zu verdrängen.



Ich kam in die weiterführende Schule und die Pubertät begann. Wir bekamen einen jungen Lehrer in Erdkunde und ich fühlte mich auf eine gewisse Art und Weise zu ihm hingezogen. Ich war nicht verknallt oder verliebt, aber er war in meinen Augen die hübscheste Person, die ich je gesehen habe und ich fing an, mir sexuelle Fantasien auszumalen.

Mit der Zeit wurde es immer und immer deutlicher, dass ich nicht auf Frauen stehe, aber ich ignorierte es. Zu diesem Zeitpunkt empfand ich es sogar als abstoßend, mit einem Mann zusammenzukommen. Ich weiß nicht, wo dieser Sinneswandel auf einmal herkam, denn früher war mir Homosexualität bei anderen ja egal, aber das hatte sich geändert. Vielleicht kam es durch die Gesellschaft oder es war ein Schutzmechanismus meinerseits, um mir nicht eingestehen zu müssen, dass ich schwul bin.

Ein weiterer Schutzmechanismus war, dass ich mir feste Freundinnen suchte, nur um mir selbst sagen zu können: „Ha, siehst du, du hast eine Freundin!“. Diese „Schein-Beziehungen hielten natürlich nie lange

Es kam immer mal wieder vor, dass ich Männern hinterherschaute, aber der Wendepunkt meines inneren Outings war ungefähr in der 8. Klasse. Ich lag abends im Bett und habe mit einer sehr guten Freundin geschrieben und sie meinte, sie muss mir etwas sagen, aber sie weiß nicht, wie ich es aufnehmen werde und dann hat sie sich vor mir als bisexuell geoutet. Mit diesen paar Worten hat es in meinem Kopf endlich einen Schalter umgelegt und meine Sichtweise hat sich einmal um 180 Grad gedreht. Ich merkte, dass queer sein überhaupt nichts Schlimmes ist und dass ich nicht alleine bin. Im selben Moment habe ich mich dann vor ihr auch als bi geoutet und natürlich hat sie es positiv aufgenommen. Wir haben dann noch darüber geschrieben, wie wir uns damit fühlen und wie wir es gemerkt haben, also erklärte ich ihr meine ganze Story. Ich habe vermutlich noch sie beruhigt einschlafen können, wie an diesem Abend.

Luca

Jetzt begann ein neuer Lebensabschnitt für mich, denn ich konnte erstmals ehrlich zu mir selbst sein und das wahrhaben, was mir mein Unterbewusstsein seit locker 7 Jahren mitteilen wollte. Ab diesem Abend war es für mich absolut kein Problem mehr, dass ich Männern auf der Straße hinterherschaue und auch die Vorstellung später einmal mit einem zusammenzuleben war ein Gedanke, den ich akzeptieren konnte.

Nach ein paar Wochen haben meine Freundin und ich es dann unserem besten Freund erzählt und er hat es auch super positiv aufgenommen, ich konnte mich gar nicht besser fühlen. Jedoch fühlte ich mich nicht ganz wohl, mich als bi einzuordnen, also sagte ich meiner Freundin, dass ich wohl etwas mehr als bi bin und zwar schwul. Was soll ich sagen – ihr war es völlig egal, als was ich mich identifiziere.



Ungefähr in der 9. Klasse habe ich dann erfahren, dass viele Leute aus meiner Klasse queer sind und letztendlich waren wir ungefähr 5 Personen und ich war sehr erstaunt, wie viele Menschen es gibt, die nicht heterosexuell sind. Zwei von diesen 5 Freunden haben meinen Biolehrer dann gefragt, ob sie ein Referat über LGBTQ machen dürfen, denn es fiel ihnen auf, wie unaufgeklärt der Rest der Klasse ist. In diesem Referat stellten sie verschiedene Sexualitäten und Gender vor und versuchten so gut es geht Fragen zu beantworten, die queere Leute des Öfteren gestellt bekommen. Eine Frage davon war:

„Wie merke ich, dass ich schwul/bi/lesbisch/… bin?“

Da die beiden wussten, dass ich einen langen Weg hinter mir hatte, durfte ich diese Frage beantworten. Ich habe mich dann einfach vor die Klasse gestellt und mich als homoflexibel (= größtenteils Interesse an Männern, aber ab und zu an Frauen) geoutet und meine Geschichte erzählt. Ich wusste zwar, dass meine Klasse sehr tolerant ist, aber es hat mich trotzdem sehr viel Überwindung gekostet, diesen Satz erstmals öffentlich auszusprechen.

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Nach dem Referat sind viele Leute zu mir gekommen, haben mich umarmt und sogar geweint, weil sie meinen Teil des Vortrags so schön fanden und sie meinten, dass ich für sie immer dieselbe Person sein werde.

2-3 Leute haben gar nichts dazu gesagt und trotz ausdrücklichen Wunsches, es keinem anderen zu sagen, haben sie es vermutlich trotzdem der Parallelklasse erzählt, aber es war mir so egal, denn ich wusste, wie viele Leute hinter mir stehen und ich habe gelernt, nicht auf die Meinung anderer zu hören.

Seit diesem Referat habe ich mich dann auch für die Gleichberechtigung der LGBTQ-Community eingesetzt. Meine Klasse und ich haben von den Umständen in Tschetschenien, Russland gehört. Dort wurden homosexuelle Männer verfolgt und in Konzentrationslager ähnliche Gelände gesperrt, gefoltert und teilweise ermordet.

Wir bekamen das Einverständnis der Schule und starteten eine Spendenaktion für „Enough is Enough, Open your Mouth“, die sich für die Evakuierung der verfolgten Familien einsetzten. Durch Kuchenverkäufe sammelten wir Geld und spendeten dieses.

Hier merkte ich nochmal, wieviel Menschen mittlerweile Toleranz für dieses Thema aufbringen können, denn wir haben reichlich an Spenden gesammelt.

Meiner Mutter erzählte ich von dieser Aktion und sie fragte mich daraufhin, ob ich schwul sei, weil ich mich in dieses Thema so reinsteigere, erst verneinte ich aus Angst einer Ablehnung, da ich wusste, dass mein Vater früher gegen Homosexualität war und ich nicht wusste, ob meine Mutter von ihm beeinflusst wurde. Jedoch habe ich ihr dann doch die Wahrheit gesagt und auch sie reagierte sehr positiv.

Meinem Vater habe ich es noch nicht erzählt, da ich die Notwendigkeit nicht sehe, denn mittlerweile betone ich nicht explizit, dass ich queer bin, sondern sage in einem Gespräch zum Beispiel einfach „Mein fester Freund…“ und bisher kamen keine negativen Reaktionen.

Durch meine Story möchte ich euch zeigen, dass ihr euch nicht schämen müsst, nicht hetero zu sein.

Steht zu euch selbst, es ist das Beste was ihr tun könnt. Mein inneres Outing war ein Prozess über viele Jahre und war nicht leicht, aber als ich es endlich ausgesprochen habe, fühlte ich mich befreit. Diese Selbstfindung ist meist das schwerste und danach geht es nur bergauf. Es ist überhaupt nicht schlimm und auch wenn ihr euch nicht sicher seid, ob ihr schwul/bi/pan/trans oder irgendwas dazwischen seid, ist das auch kein Problem. Ich habe mich drei Mal um entschieden, von bi zu schwul zu homoflexibel und auch jetzt mit fast 17 Jahren bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich ausschließlich auf Männer stehe, aber wisst ihr was? Es ist völlig okay und auch egal. Man muss sich nicht immer festlegen.

Keiner macht euch da Druck und auch ihr selbst solltet euch keinen machen, denn solange ihr zu euch steht und euch so akzeptiert wie ihr seid, ist alles perfekt. Natürlich wird es immer Menschen geben, denen ihr ein Dorn im Auge seid, aber das gibt es immer und überall, auf diese Menschen solltet ihr nicht hören.

Ihr habt immer Personen, die euch unterstützen und wendet euch einfach an die, die euch Kraft schenken.

Mit diesen Worten möchte ich meine Geschichte dann auch mal beenden und ich hoffe, ich konnte euch helfen und zeigen, dass es nicht schlimm ist. Ihr seid toll so wie ihr seid und vor allem seid ihr auch nicht allein!

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